Christopher Wilson – Guten Morgen, Genosse Elefant

Dieses Buch von Christopher Wilson erwartete mich eines Abends völlig überraschend und unerwartet vor der Haustür. Ein spezieller Lesetipp von Kiepenheuer & Witsch. Ich gebe zu, „Guten Morgen, Genosse Elefant“ wäre mit Sicherheit kein Buch gewesen, zu dem ich im Buchladen direkt gegriffen hätte. Aber: Das wäre wirklich schade gewesen, denn es wäre mir etwas sehr Lesenswertes entgangen…

 

Darum geht es

 

Juri Zipit ist der 12jährige Sohn eines angesehenen Veterinärmediziners mit Spezialgebiet Neurologie. Juri hatte in seiner Kindheit einige Unfälle, die ein paar bleibende Schäden hinterlassen haben. Er wirkt etwas zurückgeblieben. Und zugleich hat er ein so liebes Gesicht, dass ihm viele ihre Geheimnisse offenbaren, obwohl sie Juri nicht interessieren.

Eines Nachts werden Juri und sein Vater abgeholt und zur Datscha von Stalin gebracht. Der Veterinärmediziner soll den schon ziemlich kranken Stalin untersuchen, da er Humanmediziners misstraut und der Ansicht ist, dass sie alle Zionisten und Verschwörer sind – weswegen er die meisten schon inhaftieren oder auslöschen ließ. Nach der Untersuchung verschwindet auch Juris Vater.

Stalin – der Wodsch, der Vorsitzende oder der nette Onkel, wie ihn Juri nennt – findet jedoch Interesse an dem Jungen mit dem lieben Gesicht, den er für einen Schwachsinnigen hält. Er beschließt deshalb kurzerhand, ihn als seinen ersten Vorkoster und wichtigen Informanten einzustellen. Juri ist stolz auf diese Aufgabe – begreift jedoch nicht so recht, in welcher Gefahr er sich befindet. Da Juri seinerseits viel von Stalin erfährt, üben auch die anderen Macht hungrigen Parteimitglieder, insbesondere der brutale Bruhah, Druck auf Juri aus, denn jeder will ihn als Spitzel. Juri findet jedoch auch neue Freunde, die Doppelgänger von Stalin. Mit zunehmender Krankheit des Vorsitzenden spitzt sich die Lage für Juri und seine Freunde jedoch dramatisch zu…

 

 

Meine Bewertung zu „Guten Morgen, Genosse Elefant“ von Christopher Wilson

 

Ich habe mich nie besonders mit den Themen Zweiter Weltkrieg, Stalinismus, faschistischen Diktaturen befasst. Doch wenn man sich die Entwicklungen rund um unseren Globus anschaut, wird es wohl immer wichtiger, sich mit damit zu befassen und auf keinen Fall nur den Mund zu halten und zuzulassen, dass sich Diktatoren bereichern und ihre Völker ausbluten.

Juris Geschichte ist fiktiv aber sehr einprägsam festgehalten von Christopher Wilson. Was dieser liebenswert naive Junge erlebt ist so absurd, teilweise widerwärtig und ziemlich abschreckend, das vermutlich ein ganz großer Funken Wahrheit darin steckt. Stalin und seine Gefolgsleute sind größenwahnsinnig, gierig, widerlich, brutal und unerbittlich. Wer ihnen nicht in den Kram passt, wird gequält, getötet oder sogar komplett ausgelöscht (was bedeutet, das auch seine Familie und seine komplette Geschichte eliminiert werden – als wäre die Person nie dagewesen).

Insbesondere Juden hasst Stalin (wobei er eigentlich alle Menschen hasst) und möchte alle in Lager stecken. Bei den Ärzten hat er dies schon zu einem großen Teil veranlasst, weil sie einfach einer angeblichen Ärzteverschwörung angehören. Und wie das wohl bei allen Machthabern der Fall sein dürfte, traut er seinen Ministern natürlich auch keinen Meter über den Weg. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass Stalin Wert auf einen Vorkoster legt. Der eine oder andere davon hatte diesen Job nicht überlebt, weil er völlig unverständlicherweise eine Allergie gegen ein Gift hatte.

 

 

Ich kann mir Juri mit seinem lieben Gesicht und den naiven Nachfragen und seinem Geplapper lebhaft bildlich vorstellen. Und ich dachte oft genug, dass er nun mächtig in der Klemme steckt. Bei aller Ernsthaftigkeit schafft es Juri Zipit teilweise sogar, einen zum Schmunzeln zu bringen. Zum Beispiel wenn er wieder einen dieser fiesen Typen oder sogar den Vorsitzenden der Fieslinge aus dem Konzept bringt. Es ist erstaunlich, wie gleichmütig der Junge sein Schicksal erträgt, und geradezu eine Ironie des Schicksals, dass ihn seine Krankheit – nach seinen Unfällen mit einem Milchwagen, einer Straßenbahn und einem Blitz neigt er zu epileptischen Anfällen – bei einem Verhör durch den brutalen Bruhah davor schützt, schlimmer verletzt zu werden. Der Verhörende verliert schlicht den „Spaß“ an seinem Verhör, weil der Junge nach Schmerz einfach umfällt.

Trotz allem was passiert, verliert Juri nie die Hoffnung, seinen Vater wiederzusehen. Denn ganz im Gegensatz zu Stalin liebt Juri seine Familie und Freunde. Ein Gefühl, das Stalin nicht verstehen kann und will, ein Gefühl, das er am liebsten ausmerzen möchte. Doch bei Juri gelingt ihm das nicht, der mag sogar den „netten Onkel“.

 

 

Mein Fazit

 

„Guten Morgen, Genosse Elefant“ von Christopher Wilson ist ein Buch, das unter die Haut geht. Es lässt einen nicht unberührt, teilweise ist es wirklich brutal und gemein – aber auch traurig und unterhaltsam, manchmal sogar komisch. Doch auch wenn es an manchen Stellen schwer zu ertragen ist: Es ist ein Buch, das danach schreit, gelesen zu werden.

Juri Zipit ist tatsächlich ein Romanheld, der mir mit Sicherheit noch länger im Gedächtnis bleiben wird. Denn er schafft es, seine Unschuld zu behalten und nicht zum Täter zu werden. Außerdem verliert er nie seinen Lebensmut, seine Hoffnung und seine Gefühle.

Wider Erwarten – zunächst bin ich eher davon ausgegangen, dass das Buch von Christopher Wilson eher nichts für mich ist – habe ich hier ein Lesehighlight gefunden, das ich euch wärmstens empfehlen kann. Aber auch hier gilt: „Guten Morgen, Genosse Elefant“ ist nichts für ganz zarte Gemüter. Da ich es jedoch ertragen konnte, sollte es durchaus machbar sein.

Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen!

Deborah

 

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Vielen Dank an den Kiepenheuer & Witsch Verlag für die Zusendung dieses Überraschungsbuches und den Geheimtipp – ein wirklich tolles Buch!