Marie-Sabine Roger – Das Leben ist ein listiger Kater

Ein absolutes Wunschbuch hat den Weg in mein Regal und mein Herz gefunden…

Inhalt:
 
Jean-Pierre Fabre wacht ziemlich übel zugerichtet im Krankenhaus auf – und er hat keine Ahnung, was ihm passiert ist. Von den Ärzten und der Polizei erfährt er, dass er am frühen Morgen in die Seine gefallen ist und von einem jungen Prostituierten gerettet wurde. Der brummelige Einzelgänger ist nicht besonders glücklich darüber, dass er nun für Wochen auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Vor allen Dingen, weil niemand seine Privatsphäre achtet und ständig die Tür offen ist. So kommen auch ständig Leute in sein Zimmer, obwohl er das gar nicht will. Doch der freundliche Polizist Maxime, sein Lebensretter Camille und die nervige junge Göre Maëva lassen sich nicht abhalten. Und irgendwie ist das dann doch auch gar nicht so übel…
 
Meine Bewertung:
 
Ein neues Schmuckstück aus Marie-Sabine Rogers Feder, das mal wieder direkt auf der Favoriten-Liste für 2014 landet. Es ist einfach wunderschön und – wie bereits „Das Labyrinth der Wörter“gespickt mit kleinen und großen Lebensweisheiten. Ich habe versucht, mir die schönsten Textstellen abzuschreiben und zu merken – aber es sind einfach zu viele. Genau das ist es, was mir an Marie-Sabine Rogers Schreibstil so gefällt. Ich liebe ihre positive Einstellung zum Leben. 
 
Jean-Pierre hat es wirklich heftig erwischt, er muss sehr lange im Krankenhaus bleiben. Seine einzigen Kontakte sind Ärzte, Schwestern, Besucher und Menschen, die sich einfach so in sein Leben schleichen. Da natürlich nicht rund um die Uhr Menschen bei ihm sind, hat er auch viel Zeit nachzudenken über sein bisheriges Leben und seine Zukunft. Jean-Pierre wird schmerzlich bewusst, dass ihm nicht mehr endlos Zeit bleibt – und dass ihm das Alter nicht gerade freundlich gesinnt ist. Am besten erklärt er es an dieser Stelle mit seinen eigenen Worten:
 
„Unvorhergesehene Etappe der Einhandüberfahrt meines Lebens: Wegen einer Havarie liege ich im Trockendock eines Krankenhausbettes – Becken entzwei und Bein zersplittert – und habe so Zeit, Rumpf und Segel zu überprüfen und die Strecke zu ermessen, die mir vor dem letzten Hafen noch zurückzulegen bleibt.“ (Zitat Seite 84)
 
Noch sehr häufig finden sich im Buch Hinweise, wie sehr er mit seinem Schicksal hadert – obwohl sich sein Leben genau mit diesem Krankenhausaufenthalt zum Positiven wendet, was er natürlich am Anfang nicht erkennen kann. Wie oft wünscht er sich, dass einfach mal jemand die Tür zu seinem Zimmer schließt – aber sie wird immer offen gelassen oder gar wieder auf gestoßen. Auch das sehr sinnbildlich, denn alle anderen schließen ihn nicht vom Leben aus – das versucht lediglich Jean-Pierre. 
 
Und so treten die unterschiedlichsten Charaktere in oder wieder in sein Leben. Zu seinem alten Freund Serge hat er die ganze Zeit per E-Mail Kontakt und tauscht sich über die Vergangenheit und die Gegenwart mit ihm aus. Serge gibt Jean-Pierre den einen oder anderen virtuellen Tritt in den Hintern, der ihm durchaus hilft, nicht nur an der Vergangenheit zu kleben.
 
„Manchmal verdrücke ich ein Tränchen.
Das ist die Inkontinenz der Erinnerung, das Bettnässen der Gefühle.“(Zitat Seite 73)
 
Manchmal ist es Jean-Pierre nicht möglich, sich online mit seinem Freund zu unterhalten, denn dann hat die „Rotzgöre“ Maëva wieder einmal seinen Laptop in Beschlag genommen, um bei Facebook zu posten. Maëva ist ihm anfangs wirklich sehr unsympathisch, sie ist vorlaut, sehr jung, ungepflegt und unwahrscheinlich dick. Er weiß zunächst einfach nichts mit ihr anzufangen.
 
„Ich verhalte mich ihr gegenüber so kühl und distanziert wie möglich, und ich glaube nicht zu prahlen, wenn ich sage, dass meine Möglichkeiten in diesen Bereich fast unbegrenzt sind.
Aber die ägyptische Plage macht sich nichts daraus.
Schlimmer noch, ich glaube, sie mag mich.“ (Zitat Seite 145)
 
Umsorgt wird Jean-Pierre unter anderem von der herzlichen und offensichtlich attraktiven Myriam, die den alten Nörgler gerne mag und ihn auch gar nicht als solchen empfindet. Vor allen Dingen ist er bei ihr ein richtiger Charmeur, der sie immer zum Lächeln bringt, wenn er sie anspricht als „dunkle Schönheit, junge Göttin, Augenweide, Salz meines Lebens, Venus des Südens…“ Myriam nimmt sich wenigstens die Zeit für ein kleines Schwätzchen in der sonst sterilen Krankenhauswelt. 
 
Es gibt aber auch Besucher von draußen: Zuerst bekommt Jean-Pierre Besuch von Maxime, dem Polizisten, der den Fall untersucht. Obwohl es eigentlich nichts zu ermitteln gibt, besucht er den alten Herrn häufiger. Auch der junge Camille, der seinen Lebensunterhalt als Prostituierter verdient, wagt sich tatsächlich in die Höhle des Löwen. Er hat Jean-Pierre das Leben gerettet, aber so richtig dankbar ist der dem Jungen zunächst nicht. Ganz im Gegenteil ist er sogar richtig gemein zu Camille, den er damit zunächst tief verletzt. 
 
So nach und nach werden die Besucher unbewusst zu Freunden, Menschen, die für Jean-Pierre da sind – obwohl er das gar nicht wollte. Der Griesgram öffnet sich wieder dem Leben – die offene Tür stört ihn irgendwann gar nicht mehr so wirklich. Jean-Pierre ist auf einmal Freund, Vater, Großvater und noch vieles mehr. Er versteht, dass das Alleinsein ihn nicht weiter bringt, sondern ihm im Gegenteil seine verbliebene Zeit unnötig erschwert, daher lässt er all diese Menschen in sein Herz. Offensichtlich hatte Jean-Pierre gar nicht so unrecht mit seiner Vermutung:
 
„Uropa war einfach ein Griesgram, ein alter Nörgler. Ich muss wohl seine Gene geerbt haben.
Ich bin genau wie er, mein Herz leidet an Verstopfung.“ (Zitat Seite 144)
 
Verstopfung ja, aber es ist noch am rechten Fleck und benötigt nur etwas Aufmerksamkeit, um wieder aufzublühen und sich zu befreien. Ein alter Lumpensack ist schuld daran, dass Jean-Pierres Leben eine vollkommen neue Wendung nimmt – er beginnt es wieder zu leben.
 
Ihr seht schon, es ist wieder einmal ein Buch, über das ich endlos Palavern könnte. Aber eigentlich sollt ihr es ja selbst lesen. Wenn ich ganz ehrlich bin, vermute ich mal, dass es ganz junge Leserinnen und Leser vielleicht nicht so ansprechen wird. Einfach weil man sich in jungen Jahren über das Alter noch keine Gedanken macht – und das ist auch gut so! Wir alle sollten unser Leben leben, so lange es eben geht. Die guten Jahre sind viel zu schnell vorbei, unbemerkt galoppieren sie uns leider davon. Ja, mit Ü40 fängt man an, sich seine Gedanken zu machen…
 
Wenn ich Marie-Sabine Roger richtig verstanden habe, möchte sie uns zeigen, dass wir nie aufhören sollen, uns mit anderen Menschen zu beschäftigen. Ja, wir werden täglich älter – aber das ist noch nicht das Ende. Es geht auch um verlorene Zeit für unnötiges Warten auf ein besseres Leben, wie es Jean-Pierre getan hat. 
 

„Das Leben ist ein skrupelloser Betrüger: Wenn man nicht aufpasst, rupft es einen wie eine Gans und lässt einen mit leeren Taschen wieder laufen, wie ein Spieler, der ruiniert aus dem Casino kommt.“ (Zitat Seite 148)

 
Wie jedoch am Ende klar wird: Das Leben ist wirklich ein listiger Kater, denn es stellt uns tagtäglich vor neue Herausforderungen. Und ab irgendeinem Zeitpunkt müssen wir uns wahrscheinlich auch alle eingestehen, dass wir wieder auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Es bringt uns nichts, stehen zu bleiben, denn die Welt dreht sich weiter. Vergangenes bleibt vergangen, es bringt also nichts, nur in der Vergangenheit zu leben. Das Heute zählt – wir sollten nie vergessen: Heute ist morgen schon gestern. Sollte heute also mal wieder etwas schief gehen, ist morgen doch eh egal. 
 
Dazu habe ich auch ein schönes Zitat von Master Oogway aus Kung Fu Panda (nicht lachen, es passt jetzt einfach hier rein). Auf Deutsch ist es zwar auch ganz nett, aber lange nicht so gut wie das englische Original:
 
Yesterday is history, tomorrow is a mistery, but today is a gift, that is why it’s called a present.“
 
Ich denke, ich werde „Das Leben ist ein listiger Kater“ in einigen Jahren noch einmal lesen, um zu sehen, welche Geheimnisse es mir dann offenbaren wird.
 
Nun habe ich euch genug zugetextet an diesem wunderschönen Pfingstmontag. Macht euch noch einen schönen Tag, genießt ist freie Zeit!
 
Ich bedanke mich herzlich beim Atlantik Verlag für das wunderschöne Rezensionsexemplar, das nun mein Regal zieren wird, das Vertrauen und die unendliche Geduld!
 
Liebe Grüße
Deborah