Marie-Sabine Roger – Das Labyrinth der Wörter

Eine Perle voller kleiner, einfacher Lebensweisheiten.

 

Inhalt:


Germain Chazes ist eine Seele von Mensch, nur leider nicht der Schlaueste. Als er im Park Margueritte kennenlernt, wird sein Leben auf den Kopf gestellt. Denn die feinsinnige alte Dame beschließt, ihn für die Welt der Bücher zu gewinnen.

 


Meine Bewertung:


Zunächst einmal möchte ich erzählen, wie dieses Buch seinen Weg zu mir gefunden hat. Angefangen hat alles mit einer Empfehlung für die Verfilmung mit Gérard Depardieu und Gisèle Casadesus in unserem „Frankreich erleben“ Heft. Meine bessere Hälfte zeigte mir den Artikel, woraufhin ich schon im Internet nach dem Film stöberte. Da Gérard Depardieu ein toller Schauspieler ist, den ich immer wieder gerne sehe, will ich diesen Film natürlich unbedingt anschauen. Der Zufall wollte es, dass wir letzte Woche eine Anzeige für die erste Büchertausch-Börse in unserer Umgebung fanden und dort auch prompt hin gingen – ich wollte auch mal wieder einige Bücher loswerden. Durch das Cover wurde ich auf das Buch von Marie-Sabine Roger aufmerksam. Die überarbeitete Fassung ähnelt dem Filmplakat, nur dass es sich um ein Bild handelt und Germain und Margueritte von hinten zu sehen sind. Ich strahlte bei der Entdeckung des Buches und habe es mir gleich gesichert. Die freundliche Besitzerin des Buches lobte sowohl das Buch als auch den Film in den höchsten Tönen. Man könnte fast meinen, das Buch hat mich gesucht und gefunden. Tja, so kamen wir zusammen…und ich konnte es auch nicht erwarten, es zu lesen. Zum Glück war ich gerade mit einem anderen Buch fertig, sodass ich direkt loslegen konnte. Das wirklich Erstaunliche an der ganzen Sache ist, dass ich die ganze Zeit die deutsche Synchronstimme von Gérard Depardieu im Kopf hatte, er hat mir quasi die Geschichte vorgelesen. Ohne den Film zu kennen, würde ich schon jetzt behaupten, er passt perfekt in die Rolle – auch wenn das Alter nicht so ganz hinkommt.


Ich kann mir vorstellen, dass die Meinungen über das Buch weit auseinander gehen. Viele werden es vermutlich sterbenslangweilig finden – ich fand es toll! Ich hätte alle paar Seiten eine besonders schöne Textstelle markieren können, ich wurde gar nicht mehr fertig mit dem Zettel verreißen und ins Buch legen. Und dabei habe ich wirklich nur die schönsten Dialoge und beachtenswerten – wenn auch kleinen – Weisheiten gekennzeichnet.


Ich finde den Klappentext nicht ganz zutreffend. Sicher, Germain ist „einfach gestrickt“ – aber er ist nicht dumm. In dieser Geschichte zeigt sich für mich eindeutig, wie ein Kind durch Vernachlässigung geprägt werden kann, wie seine Zukunft dadurch beeinflusst wird. Germain hatte nie das Gefühl, von seiner Mutter geliebt worden zu sein, sie bezeichnet ihn oft als Dummkopf und Bastard. Auch in der Schule ist er oft das Opfer des Lehrers und seiner Mitschüler. Ja, er ist langsamer im Lernen, aber er versteht die Dinge auf seine eigene, viel weniger komplizierte Art. Germain nennt die Dinge beim Namen und sagt was er denkt – und gilt deswegen als dumm. Auf Grund der Zurückweisungen und seiner Probleme in der Schule lernt er nie richtig lesen und schreiben.


Der Zufall will es, dass der sanfte Riese im Park auf Margueritte trifft. Erstaunt stellt er fest, dass auch sie die Tauben zählt. Germain und die kleine Alte freunden sich an. Schon bald freut sich Germain auf die Zusammentreffen mit Margueritte und fängt an, anders zu denken. Der Auslöser dafür ist, dass Margueritte sich tatsächlich für ihn interessiert und ihn wahrnimmt als denkenden und handelnden Menschen. Sie möchte ihm Bücher schmackhaft machen und beginnt, ihm daraus vorzulesen. Germain wird neugierig und möchte mehr wissen. Als ihm seine neue Freundin ein Wörterbuch schenkt, ist er erstaunt und ängstlich, denn er kann ja die Wörter nicht buchstabieren und somit auch nicht finden. Margueritte erkennt seine Schwierigkeiten und hilft ihm auf ihre ganz eigene Art. Wenn ihn ein Wort interessiert, schreibt sie es ihm auf und er schlägt es später nach. So lernt Germain auf eine ganz andere Art und Weise. Sein Umfeld ist zunächst erstaunt über seine Veränderung, aber seine Freundin Annette unterstützt ihn sehr. Germain beginnt, sich Ziele zu setzen. Die Freundschaft zu Margueritte ändert sein ganzes Leben, denn zum ersten Mal erfährt er, was Liebe und Vertrauen bedeuten. Und so wie Margueritte ihm hilft, will auch er ihr helfen, denn leider verschont sie das Alter nicht und nimmt ihr nach und nach das Augenlicht.


Dieses kleine Buch ist diese Jahr bisher die Nummer 2 meiner Lieblingsbücher und wird auf jeden Fall in die Favoritenliste kommen.


Hier einige meiner Lieblings-Textstellen/-Zitate aus dem Buch:


Ich habe beschlossen, Margueritte zu adoptieren. Sie feiert bald ihren sechsundachtzigsten Geburtstag, da sollte man nicht zu lange warten. Alte Leute sterben gern. (Germain, die allerersten Sätze des Buches)


Es machte einen auf die Dauer echt fertig, „das Leben ohne Decoder zu betrachten“, wie Marco manchmal sagt. Wenn intelligent sein eine Sache des Willens wäre, dann wäre ich ein Genie, das kann ich wohl sagen. Denn angestrengt habe ich mich! Aber es ist, als wollte ich mit einem Suppenlöffel einen Graben ausheben. Alle anderen haben Schaufelbagger, nur ich stehe da wie ein Trottel. Im wahrsten Sinne des Wortes.(Germain)


Das ist es wahrscheinlich, was Margueritte meint, wenn sie sagt: „Wissen Sie eigentlich, Germain, dass Bildung einsam macht?“ 
Ich glaube,da hat sie nicht unrecht, und außerdem muss einem ja ganz schön schwindelig werden, wenn man das Leben immer so tief unter sich hat. 
Die Moral von der Geschichte: Ich werde auf halber Höhe stehen bleiben und glücklich sein, wenn ich es soweit schaffe. (Margueritte und Germain)


…Germain, wozu machst du die Sachen? Das wirbelte in meinem Kopf herum. Wozu, wozu, Germain? Wozu?
Ich glaube, an diesem Abend hatte ich eine Art Intelligenzanfall. (Germain)


„…Man darf Bücher nicht egoistisch lieben, Bücher genauso wenig wie alles andere. Wir sind nur auf Erden, um Dinge weiterzugeben, wissen Sie…Zu lernen, seine Spielsachen zu teilen, ist wahrscheinlich die wichtigste Lektion, die man sich im Leben aneignen muss….“ (Margueritte und ein neues Lieblingszitat!)


Landremont, der viel erzählt, wenn der Tag lang ist, sagt immer: „Was dich nicht umbringt, macht dich stark.“
Das soll also das Leben sein: Entweder du bist stark, oder du bist tot?
Was für eine Scheißauswahl. (Germain)


Wenn alles immer einfach wäre, gäbe es dann überhaupt noch Glück? Es muss entweder wie ein Geschenk vom Himmel fallen oder hart erarbeitet werden, denn wenn es nicht mehr selten oder teuer wäre, dann wäre ja der ganze Reiz weg. Das ist nicht sehr gut gesagt, aber Hauptsache, ich mache mich verständlich. Glücklich sein, das hat viel mit Vergleichen zu tun. (Germain)


Man wird eben doch immer bestraft für seine Dummheiten. Andererseits… wenn das wahr wäre, müssten sich viele Leute ernsthaft Sorgen machen. (Germain)


Zuneigung ist etwas, das im Verborgenen wächst. Sie schlägt einfach Wurzeln und wuchert dann schlimmer als Quecken. Wenn es erst mal so weit ist, ist alles zu spät: Das Herz kann man schließlich nicht mit Unkrautfrei behandeln, um die Zärtlichkeit darin auszurotten. (Germain).


Wenn man jemanden liebt, der unglücklich ist, dann macht der allein einem mehr Kummer, als wenn alle zusammen, die man nicht leiden kann, einem das Leben schwermachen. (Germain)


Wie ihr seht, habe ich in diesem Buch viele Lieblingsstellen gefunden – und das bei gerade mal 221 Seiten. Mein Fazit: Ich liebe es – das Buch bleibt im Regal! Auch wenn ich damit nicht im Sinne von Margueritte handle (siehe oben) … dafür gebe ich lieber ein anderes Buch ab. :o)


Gute Nacht
Deborah