Katharina Seck – Die Vermesserin der Worte


Manchmal sind es die ruhigen, leisen Bücher, die mich mit ihren Geschichten über den Zauber von Büchern begeistern. Und so habe ich in Katharina Secks Buch ein Jahreshighlight gefunden, eine Geschichte über eine zufällige, unerwartete und tiefe Freundschaft, die mich zum Lachen und auch zum Weinen brachte.


Ein Buch, aus dem ich euch massig Zitate nennen könnte, denn es kleben massig Klebezettel in diesem schmalen Büchlein. Ich glaube, ich habe überhaupt nur in einem Buch noch mehr schöne Stellen markiert (wenn überhaupt): Marie-Sabine Roger – Das Labyrinth der Wörter, ein All time favourite. Das neue Buch von Katharina Seck hat ebenfalls Potential, ein solches Lieblingsbuch zu werden. Und ich könnte mir auch schon den perfekten Ort für eine Lesung vorstellen. 🙂


Darum geht es im Buch von Katharina Seck:


Die junge Autorin Ida Hermann hat seit Monaten ein Problem: Die Worte haben sie verlassen, sie fühlt ein Loch in ihrem Körper und kann einfach nichts mehr schreiben. Und so sitzt sie in ihrer Bude in der Plattenbausiedlung und weiß nicht so recht, wie es weitergehen soll. Als ihr Postbote Theobald eine verknitterte Stellenanzeige für einen Haushaltsjob bei einer alten Dame in einem kleinen Dorf in die Hand drückt, ist sie zunächst nicht begeistert. Doch da sich auch ihre finanziellen Möglichkeiten so langsam erschöpfen, ruft sie letztendlich an und bekommt die Stelle auf einem großen Anwesen mitten im Nirgendwo. Hier soll sie das Haus von Ottilie Selig in Schuss bringen und sich um die alte Dame kümmern.


Ottilie ist gänzlich auf sich allein gestellt in ihrem „papiernen Anwesen“ mit jeder Menge Büchern. Die Dorfbewohner halten alle Abstand von ihr. Ida merkt schon bald, dass Ottilies ablehnende Haltung auch aus Unsicherheit entsteht, denn so langsam entgleitet der alten Dame ihr Gedächtnis. Immer häufiger zeigen sich Lücken und sie kann sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr erinnern. Ida möchte Ottilie nicht nur mit dem Haus helfen, sie möchte ihr auch helfen, Brücken zu ihrem Gedächtnis zu bauen. Daher erzählt sie ihr eine Geschichte. Es ist Ottilies Geschichte, die Geschichte der Wortvermesserin, die sich Ida nach und nach aus gefundenen Erinnerungen offenbart.


Doch Ida hat noch einen einen anderen Plan, sie versucht herauszufinden, warum Ottilies ehemalige Freundinnen und Freunde sich nicht mehr um sie kümmern. Damit sie nicht mehr so alleine ist – obwohl Ottilie der Meinung ist, niemals einsam zu sein.

Klappentext zu Katharina Seck - Die Vermesserin der Worte


Meine Leseeindrücke:


Einen Teil davon habe ich euch ja schon oben in der Einleitung beschrieben. Idas und Ottilies Geschichte hat mich berührt und ich habe wirklich jede Seite genossen. Es steckt so viel Liebe und Freundschaft in diesem Buch. Und noch so viel mehr. „Die Vermesserin der Worte“ ist eine Geschichte gegen das Vergessen, sie macht fast unsichtbare Menschen sichtbar, zeigt, dass auch eine gewählte Familie die richtige Familie sein kann und dass Freundschaft und Liebe fast alles möglich machen. Auch Verzeihen, neu anfangen und zweite Chancen nutzen, gebrochene Herzen heilen, genau wie Wunden aus der Vergangenheit. Es ist so viel, dass ich gar nicht alles beschreiben kann, was mich an diesem Buch bewegt hat. Auf jeden Fall habe ich eine neue Lieblingsheldin: Ida. Aber auch Ottilie ist eine Heldin, sie hat so viel erlebt und hat so viel zu geben – und wird darüber fast vergessen oder vergisst sich selbst.


Ich verspreche euch: Wenn ihr euch auf diese Geschichte einlasst und sie langsam, achtsam lest, könnt ihr so viel daraus mitnehmen. Es ist ein Buch, das nachhallt, das einen nachdenken lässt. Bin ich vielleicht selbst eine von diesen unsichtbaren Personen? Kann ich für mich oder andere etwas ändern? Ich persönlich eine dieser Menschen, die zum Beispiel in jedem Laden zumindest grüßt und einen schönen Abend etc. wünscht. Das wird zwar nicht jedem/jeder Mitarbeiter/in den Tag retten, aber ein bisschen Freundlichkeit wünschen wir uns doch alle – und auch, wahrgenommen zu werden. Oder was meint ihr?


Wie gerne würde ich Ottilies Anwesen und natürlich ganz besonders ihre Bibliothek, das Schreibzimmer und die gute Stube kennenlernen. Es klingt nach einem tollen Zuhause. Bevor ich zu meiner Bewertung komme (ist die eigentlich noch notwendig, wo ich hier die ganze Zeit schon schwärme?), möchte ich noch ein bisschen zu Ida und Ottilie sagen, diesen beiden Frauen, die bereits nach wenigen Monaten eine außergewöhnliche Freundschaft verbindet.


Etwas mehr zu den Protagonistinnen:


Ida Hermann ist so eine sympathische, herzensgute und zugewandte Person, ich hätte sie am liebsten als Freundin. Sie hat das Gefühl, dass sie durch den Verlust ihrer Worte blasser wird und unwichtig ist. Genau das selbe sieht sie bei Theobald, ihrem Postboten. Auch er scheint immer unsichtbarer und blasser zu werden, nichtbeachtet von anderen Menschen. Was Ida zunächst nicht erkennt: Sie selbst macht diese scheinbar unsichtbaren Menschen sichtbar, indem sie auf sie zugeht. Auch auf Ottilie geht sie immer und immer wieder zu, obwohl diese sie immer wieder vergisst. Wofür sie natürlich nichts kann, sie hat Demenz. Aber es schmerzt Ida trotzdem, denn sie schließt die alte Dame, der Geschichten genauso wichtig sind wie ihr selbst, in ihr großes Herz.


Und überhaupt hatte mich Ida schon ganz am Anfang des Buches und dafür gibt es auch einen Grund (sorry, ganz kann ich euch nicht verschonen, es gibt einfach so viele schöne Textstellen…):


Es ist kein Wunder, dass sogar die misstrauischen Dorfbewohner zu Ida Vertrauen fassen, sie näher an sich heranlassen und sich sogar von ihr in die richtige Richtung stupsen lassen. Entgegen ihrer Vermutung hat Ida ihre wundervolle Gabe und ihre Worte nie verloren.


Ottilie ist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit. Dass sie es so lange schafft, vollkommen alleine in dem großen Anwesen zu leben, hat mich sehr beeindruckt. Trotz aller Niederlagen, Rückschläge und Verluste hat sie sich auch ihren Stolz bewahrt. Wie sich nach und nach offenbart, hat sie auch viele wundervolle Dinge in ihrem Leben erlebt, hat viele Länder erkundet, wurde geliebt und war eine beste Freundin. Doch leider war sie auch ein Sturkopf – genau wie ihre Freunde und Nachbarn.


Wenn Ottilie vergisst und verloren wirkt, möchte man sie in den Arm nehmen und ihr helfen, ihre Brücken zu bilden. Sie hält sich so verzweifelt an ihren Erinnerungen fest, doch die Krankheit nimmt ihr immer mehr davon. Es ist einfach furchtbar traurig. Um ehrlich zu sein, eine meiner größten Ängste für das Alter. Als Buchliebhaber:innen müsst ihr einfach wissen, was es mit ihrer kleinen Messingwaage auf sich hat und wie sie zu ihrem Namen Wortvermesserin kam.

"Die Vermesserin der Worte " mit Deko im Garten.


Meine Bewertung/mein Fazit zum Buch von Katharina Seck:


Eigentlich unnötig, aber ich sag’s trotzdem gerne noch einmal: Ich liebe es – von der ersten bis zur letzten Seite. „Die Vermesserin der Worte“ ist eines dieser Bücher, bei dem man bittere Tränen weint aber gleichzeitig eine Wärme und Zufriedenheit empfindet. Es ist ein echtes Geschenk. Ich hoffe, dass ganz viele Menschen wie Ida und Ottilie da draußen sind.


In vielerlei Hinsicht erscheint mit der Vergleich mit „Das Labyrinth der Wörter“ von Marie-Sabine Roger angemessen. Ich würde sagen, wenn ihr dieses Buch auch so sehr geliebt habt wie ich, empfehle ich euch von Herzen Katharina Secks Buch. Auch hier verändern Worte ein ganzes Leben. Nein, das stimmt eigentlich nicht: Sie verändern viele Leben, nicht nur eines. Es ist eine Story für alle, die Bücher und gute Geschichten lieben – und die an deren Heilwirkung glauben.


Ich für meinen Teil werde dieses Buch nun mit all seinen Klebis ins Regal stellen und mir vornehmen, es irgendwann noch einmal zu lesen, wenn ich mal wieder am Leben verzweifle. Dann kann ich dieses Buch hervorholen und erneut seine Herz erwärmende Wirkung genießen. Ida Hermann Ottilie dürfen direkt neben Germain Chazes und Margueritte einziehen. Und irgendwie hoffe ich auf eine Lesung in der Buchhandlung im Fachwerkhaus mit der jungen Buchhändlerin… 😉


Lest doch mal rein und besucht die Buchhändlerin eures Vertrauens. Ich werde meine Lieblingsbuchhändlerinnen auch bald wieder besuchen und sie fragen, was sie mir empfehlen würden, wenn ich diese Geschichte so sehr geliebt habe. Ich bin gespannt. Und falls ihr Tipps für mich habt, gerne her damit (ihr erreicht mich wie immer über Instagram @deborahs_buecherhimmel).


Ich wünsche euch viel Freude – und genug Taschentücher – beim Lesen.


Deborah

Das Bloggerpäckchen zu "Die Vermesserin der Worte".


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Vielen lieben Dank an Harper Collins für das Rezensionsexemplar. Weitere Infos zum Buch von Katharina Seck findet ihr auf der Internetseite des Verlages.